Kodex für Respekt und Verantwortung … mehr zum Thema
Nach einigen Monaten Arbeit in der internationalen Arbeitsgruppe aus SAZ, der französischen SAJ und einigen nicht organisierten Spieleautor*innen war es am 09. Juli 2021 so weit: Der Kodex für Respekt und Verantwortung, der sich an ALLE in der Spielebranche richtet, die an der Entwicklung von Spielen beteiligt sind, ging an die Öffentlichkeit. Dabei tauchten immer wieder Fragen zum Inhalt auf, auf die wir hier gerne eingehen wollen.
Ursprünge und Ziele: Die Brettspielwelt lebt nicht in einer gesellschaftlichen Blase, und auch wenn wir uns wahrscheinlich zu einem ziemlich gesunden und positiven Umfeld beglückwünschen können – die guten Beziehungen der SAZ zu vielen Spieleverlagen, zum Deutschen Kulturrat und anderen Urheberverbänden, ist es schwierig, die allgemeine Situation unserer Gesellschaft und ihre Auswirkungen auf unseren Kulturbereich zu ignorieren.
Wir wollen, dass das Brettspiel als Kulturgut einen wichtigen Beitrag für Respekt und Toleranz leistet. Allerdings gibt es manchmal Probleme mit der Zugänglichkeit und Spannungen in Bezug auf Themen und Inhalte bei Brettspielen. Außerdem mangelt es der Spieleindustrie unserer Meinung nach an Vielfalt. Viele Menschen sehen sich in Spielen oder auf Events nicht vertreten. Repräsentation kann zu Partizipation führen und die Spieleindustrie als Ganzes würde davon stark profitieren.
Grundlegendes: Es wurde sehr schnell klar, dass wir die Arbeit in zwei Bereiche aufteilen mussten: den Kodex selbst und die Zusatzdokumente. Ziel dieses Kodex ist es, eine Reihe von allgemeinen Grundsätzen aufzustellen, die wir für die gesunde Entwicklung unseres Berufsstandes für wichtig halten. Aber es ist schwierig, gleichzeitig allgemeingültige Aussagen zu treffen und konkret zu werden. Deshalb werden diesem Kodex Dokumente folgen, die konkrete Handlungsbeispiele und Ressourcen für Autor*innen bieten, die sich über diese Themen informieren möchten. Eines davon wird der Creator's Guide von Meeples for Change sein.
Der Kodex enthält eine Einleitung, die unsere Werte bekräftigt: Respekt für andere und unsere Verantwortung als Autor*innen, das zu tun, was wir können, um die Welt des Spiels toleranter und respektvoller gegenüber anderen zu machen, um so viele Menschen wie möglich einzubeziehen und willkommen zu heißen. Er enthält eine Reihe von Prinzipien, die für uns wichtig sind und die wir erklären wollen, damit es keine Missverständnisse gibt. Wir laden Euch daher ein, den Kodex sorgfältig zu lesen, falls Ihr dies noch nicht getan habt bzw. noch nicht unterschrieben habt.
Drei Hauptprinzipien: Wir haben in diesem Kodex drei Hauptprinzipien niedergelegt. Das erste davon ist die Vielfalt. Die Vielfalt der Themen und Illustrationen ist eine Stärke unserer Werke und wir denken, dass es gut ist, dass diese Vielfalt von den Autor*innen vorher durchdacht wird, damit sich möglichst viele Menschen in unseren Spielen wiederfinden können.
Das zweite Prinzip ist die Zugänglichkeit: Wir wollen jeden ermutigen, unsere Spiele zu spielen. Das reicht von der Reflexion der Autor*innen über die physische Zugänglichkeit (z.B. für Farbenblinde) bis hin zum Regeltext (z.B. gendergerecht), damit sich jeder in der Spielwelt zu Hause fühlt.
Bei dem letzten Prinzip geht es um unsere Verantwortung als Autor*innen. Eine Verantwortung, die von der Reflexion über das Thema, über den Ton unserer Spiele bis hin zu unserem Verhalten, unseren Worten und unserem Handeln als Mitglieder der professionellen Spielewelt reicht.
Berechtigte Fragen: Dieser Kodex mit seinen klaren Standpunkten wirft natürlich eine Reihe von Fragen auf. Es kann sein, dass wir feststellen, dass es nicht weit genug geht oder dass es die Grenzen unserer Möglichkeiten überschreitet. Wir können auch an einzelnen Formulierungen oder am Inhalt bestimmter Punkte etwas auszusetzen haben. Perfektion gibt es auf dieser Welt nicht, aber wir haben konstruktiv und durchaus kontrovers diskutiert, immer wieder verändert, um am Ende das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.
Dieser Kodex hat natürlich keine rechtliche Konsequenz und keine bindende Kraft, außer dem individuellen Willen, sich diese Standpunkte anzueignen. Er existiert nur, um ein Bewusstsein für den Fortschritt zu schaffen, der in der Welt der Spiele noch gemacht werden muss. Der Kodex versucht nicht, Autor*innen zu zensieren oder ihnen etwas aufzuzwingen. Es ist nicht dazu gedacht, Menschen in der Öffentlichkeit bloßzustellen, sondern vielmehr einen Dialog zwischen allen Beteiligten zu schaffen. Es versucht einfach, Autor*innen und andere Beteiligte in der Spielebranche zu ermutigen, ihre Praktiken zu hinterfragen, ihren Blick zu schärfen und so ein professionelleres Vorgehen zu fördern. Er gibt Leitlinien für die Zukunft vor.
Der Kodex verteidigt sowohl die kreative Freiheit, vom Thema bis zur Mechanik, vom Ton bis zur physischen Gestaltung, als auch die Rücksichtnahme auf andere in unserem Vorgehen. Nicht alle Spiele können vollständig zugänglich sein. Einige Mechaniken sind von Haus aus exklusiv. Nicht alle Themen sprechen jeden an. Nicht alle grafischen Behandlungen, nicht alle erzählerischen Entscheidungen werden jedem gefallen. Nicht alle thematischen Recherchen können gleichwertig sein, z.B. zwischen einem Spiel mit realistischen Bezügen und einem Spiel, dessen Thema nur aus einem illustrativen Hintergrund besteht. Aber indem wir unsere Wahl und Entscheidungen hinterfragen und diese bewusst treffen, agieren wir automatisch rücksichtsvoller und respektvoller.
Die Wahl eines spaltenden Themas, der Einsatz von Humor, die Verwendung von Klischees, das Schreiben von Regeln auf eine bestimmte Art und Weise, das Einbeziehen oder Ausklammern bestimmter historischer oder kultureller Aspekte, all das kann einem Zweck dienen und ist Teil unserer Freiheit als Autor*innen. Denkt auch hierüber nach. Anzuerkennen, dass jemand falsch liegen könnte, auch wir selbst, anderen zuzuhören, schwierige Themen zu diskutieren, das alles gehört zu unserem Job, und wenn wir die volle Berücksichtigung wollen, die Autor*innen zusteht, müssen wir auch diese Überlegungen mit einbeziehen.
Natürlich wird dieser Kodex nicht (sofort) die Spielewelt revolutionieren und alle Probleme lösen. Er wird in mehreren Sprachen veröffentlicht und betrifft Länder mit sehr unterschiedlichen kulturellen Hintergründen, und nicht jeder wird notwendigerweise in allen Punkten zustimmen. Außerdem sind wir uns bewusst, dass Autor*innen nur ein (wesentliches) Glied in der Kette der Entstehung eines Spiels sind und dass wir nicht die Möglichkeit oder immer den Wunsch haben, alles zu kontrollieren, was mit unserem Spiel zusammenhängt. Verlage spielen natürlich eine wichtige Rolle in diesem Prozess, aber wir glauben, dass wir nicht von anderen verlangen können, sich zu ändern und zu handeln, ohne zuerst unsere eigenen Praktiken zu hinterfragen.
Wir sind davon überzeugt, dass dieses kollektive Bewusstsein von uns, dem ersten Glied in der Kette, den Autor*innen von Brettspielen, ausgehen kann und muss. Wir tragen auch als Autor*innen die zentrale Verantwortung – natürlich immer im Rahmen der Möglichkeiten, aber es sind UNSERE Spiele! Eine entsprechende Mitsprache bei der Realisierung unserer Spiele sollten wir daher immer auch einfordern und in einem partnerschaftlichen Dialog umsetzen. Siehe dazu auch unser Positionspapier zur Mitsprache von Spieleautor*innen.
Konkrete Aktionen: Deshalb laden wir Euch ein, diesen Kodex für Respekt und Verantwortung durch Eure Unterschrift zu unterstützen – sofern das noch nicht geschehen ist. Dieser Link führt direkt zum Kodex auf unserer Website und zur Möglichkeit ihn online zu unterzeichnen. Wir freuen uns auch über alle Veröffentlichungen, Aktivitäten und Diskussionen in den Medien und sozialen Netzwerken, um für noch mehr Beteiligung zu werben. Je mehr Unterschriften wir bekommen, desto mehr Strahlkraft bekommt dieser Kodex … und damit hoffentlich auch konkrete Wirkung.
Über die weiteren, ergänzenden Veröffentlichungen zu diesem Thema werden wir Euch laufend informieren. Aktuell arbeiten wir an den Übersetzungen der Website von Meeples for Change. In Vorbereitung sind die Sprachen Deutsch, Französisch und Spanisch. Ebenfalls in Vorbereitung ist ein kleiner Leitfaden für gendergerechte Sprache in Spielregeln – aktuell nur in deutscher Sprache, da die kulturellen Gegebenheiten bei Sprachen extrem unterschiedlich sind.
Ergänzend zum Thema können wir noch den Podcast der Jury Spiel des Jahres zum Thema Diversität empfehlen. Die gesamte Länge ist mit 1 Stunde 19 Minuten anspruchsvoll; die einzelnen Gespräche mit den vier Jurymitgliedern lassen sich aber gut einzeln anhören. Einen weiterer Podcast zum Thema "Kolonialismus in Brettspielen" von Frank Zirpins ist beim WDR (bis zum 01.03.2022) abrufbar.