Interview mit Lukas Boch, BOARDGAME HISTORIAN
Den Fragen von Daniel Bernsen, Spieleautor, Geschichtslehrer und derzeit als Prozessbegleiter für die deutschen Schulen im nördlichen Südamerika tätig, stellt sich – exklusiv für die SAZ – Lukas Boch (Bild rechts).
Hallo Lukas, vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst. Magst du dich selbst kurz vorstellen?
Sehr gerne, ich freue mich immer, wenn ich über meine Forschung reden darf. Mein Name ist Lukas Boch und ich habe Geschichte und katholische Theologie in Münster studiert. Nach meinem Lehramtsstudium habe ich das Glück gehabt, als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für historische Theologie und ihre Didaktik anfangen zu können. Hier untersuchen wir unter anderem, welche Vorstellungen von der Kirchengeschichte außerhalb des universitären „Elfenbeinturms“ existieren.
Aufgrund dieses Schwerpunktes habe ich jetzt das Vergnügen, über Brettspiele promovieren zu dürfen. Genauer gesagt über kirchenhistorische Motive des Mittelalters im modernen Brettspiel, es geht also unter anderem um Kreuzzüge, Hexenverbrennung und die Inquisition aber auch darum, warum Mönche eigentlich immer Bier trinken und Nonnen kaum in Spielen vorkommen.
Ende letzten Jahres habe ich dann zusammen mit der Archäologin Anna Klara Falke das Projekt Boardgame Historian gegründet. Hier beschäftigen sich Wissenschaftler:innen mit dem breiten Feld von Geschichte in und von Brettspielen. Neben einem Blog mit eigener ISSN., findet man uns auch auf Instagram und Twitter. Wichtig ist uns dabei, dass wir nicht über sondern viel mehr im Austausch mit Akteur:innen der Spieleszene forschen.
Außerdem bin ich noch im Vorstand des Arbeitskreis Geschichtswissenschaft und digitale Spiele (AKGWDS) und sorge dafür, dass auch hier das Thema analoge Spiele mit eingebracht wird.
Wie bist du denn dazu gekommen, dich wissenschaftlich mit analogen Spielen zu beschäftigen?
Obwohl ich mich schon seit Beginn meines Studiums, für Darstellung von Geschichte in der sogenannten „Populärkultur“ interessiert habe (Geschichtskultur/Public History), habe ich mich wissenschaftlich zunächst nur mit digitalen Spielen beschäftigt. Im Nachhinein hat das wohl vor allem daran gelegen, dass es quasi kaum Forschung zu modernen analogen Spielen gibt.
Als ich mich dann aber immer mehr mit der Wissenschaft von Spielen (Game Studies) beschäftigt habe, hat es mich immer mehr gewundert, dass unter Games immer nur digitale Spiele verstanden werden. Dadurch wird ein riesiges Potenzial verschenkt, denn analoge Spiele sind mittlerweile unfassbar vielfältig. Das gilt vor allem für meinen Forschungsschwerpunkt, den Vorstellungen von Vergangenheit (Geschichte) in der Gegenwart. Als ich dann die Stelle am Seminar für historische Theologie und ihre Didaktik bekommen habe, habe ich die Chance ergriffen und mich dazu entschieden, die Forschung zu (Kirchen-) Geschichte in Brettspielen zu intensivieren.
Du hast es schon gesagt, es gibt Kirchenhistoriker:innen, aber auch Historiker:innen, die sich mit Zeitgeschichte, Wirtschaftsgeschichte usw. beschäftigen. „Boardgame Historian“ ist an diese Wortschöpfungen angelehnt und legt ein gleichwertiges, eigenständiges Forschungsfeld nahe. Inwieweit ist es das wirklich und warum habt ihr einen englischen Titel gewählt?
Das ist eine wirklich spannende Frage. Den Namen Boardgame Historian haben wir ganz einfach aus dem Grund gewählt, da sich „Brettspielhistoriker:in“ einfach nicht so griffig anhört. Außerdem wollten wir von Anfang an auch die internationale Community ansprechen und die englischsprachige Forschung mit einbeziehen, auch wenn unsere Forschung momentan hauptsächlich im deutschsprachigen Raum stattfindet.
Bei unserem Projekt versammeln sich Wissenschaftler:innen mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten. Neben Historiker:innen wirken wir mittlerweile auch Personen aus anderen Geistes- und Sozialwissenschaften an dem Blog mit. Toni Janosch Krause, mit dem wir gerade die Ausstellung „Am Anfang war das Spiel“ in Altenburg zu Geschichte und Gesellschaft in Brettspielen kuratiert haben, ist beispielsweise Kulturanthropologe. So unterschiedlich unsere Schwerpunkte auch sind, einen uns doch alle eine Reihe an Grundsätzen. Der wichtigste ist wahrscheinlich, dass wir alle der Überzeugung sind, dass Brettspiele nicht in einem kulturellen Vakuum entstehen.
Das bedeutet, dass analoge Spiele immer von den gesellschaftlichen Gegebenheiten beeinflusst werden, in denen diese entstehen. Das wiederum heißt, dass man durch die systematische Untersuchung dieser Spiele erforschen kann, welches Bild von der Vergangenheit (beispielsweise dem Mittelalter) in der Gesellschaft präsent sind. Gleiches gilt natürlich auch für andere gesellschaftliche Themen, zu nennen wäre z. B. die Repräsentation von Geschlechtern in Brettspielen. Wer mehr dazu erfahren will, dem empfehle ich den Artikel von Toni Janosch Krause und Barbara Sterzenbach über Queere Repräsentationen in Brettspielen.
Du siehst, wir haben unseren Namen nun eigentlich schon gesprengt, deswegen wollen wir unserem Projekt nun auch einen neuen Untertitel geben „Boardgame Historian – Über Geschichte und Gesellschaft in Brettspielen.“
Eine:n „Boardgame Historian“ macht in unserem Fall aus, dass er/sie sich neben seiner Expertise in seinem Fach (Geschichte, Theologie, Philosophie usw.) eben auch mit den Spezifika des Mediums der Brettspiele auskennen muss. Das heißt z. B., wie kann Geschichte überhaupt in einem Brettspiel vermittelt werden? Welche Vorbilder nutzen die Autor:innen zur Konstruktion des spezifischen Geschichtsbild in ihrem Spiel? Das ist aus unserer Sicht tatsächlich ein eigenes Forschungsfeld und der Fokus auf Brettspiele ist von anderen populärkulturellen Medien noch einmal abgegrenzt. Auch wenn es einige Überschneidungspunkte gibt, kann man z. B. nicht einfach die Erkenntnisse aus der Forschung zu digitalen Spielen eins zu eins auf analoge Spiele übertragen.
Den Zusammenhang von Spielen und Geschichte würde ich gerne nochmal vertiefen. Wenn wir bei Brett- und Kartenspielen bleiben, welche Bedeutung hat dann aus deiner Sicht „Geschichte“ für den Bereich der analogen Spiele?
Ich glaube tatsächlich, dass man die Bedeutung von „Geschichte“ für das Medium der analogen Spiele nicht hoch genug schätzen kann. Sehr viele Autor:innen oder Redakteur:innen nutzen für ihre Spiele ein Setting mit Bezug zur Vergangenheit. Über die Hälfte der Spiele im Zeitraum 2010-2020, die für den Preis „Spiel des Jahres“ nominiert wurden, hatten z. B. eine Verbindung zur Geschichte.
Jetzt kann man sich natürlich die Fragen stellen, warum das so ist. Meine These wäre, dass es verschiedene Gründe gibt. Zunächst sollte man das persönliche Interesse der Autor:innen an Geschichte nicht unterschätzen. Dann hat aber natürlich der wirtschaftliche Faktor einen Einfluss: „History Sells“ könnte man betonen. Der vielleicht wichtigste Punkt liegt aber in der Fülle an Stoff, den Geschichte (ohne Lizenzkosten) bereithält. Wenn man es genau nimmt, arbeitet eigentlich so gut wie jedes Thema mit Anlehnungen an Geschichte, dies gilt besonders für Fantasy. Es ist einfach unfassbar anstrengend, sich etwas komplett Neues auszudenken. Der letzte Grund könnte in einem Bildungsanspruch liegen, das gilt dann aber vor allem für sogenannte „Serious Games“.
Da Geschichte aber auch immer eine Bedeutung für die Identität hat, ist es wichtig zu untersuchen, welche Narrative von Geschichte in Spielen transportiert werden.
Was für unsere Forschung beim Boardgame Historian nun spannend ist, ist zu untersuchen WIE Geschichte in analoge Spiele eingebunden werden kann.
Du nennst wirtschaftliche und persönliche Interessen, aber spielt aus deiner Sicht die starke Verbindung von Geschichtsthemen mit Brettspielen auch eine Rolle für die Einschätzung von Spielen als Kulturgut?
Aber natürlich! Spiele mit einem Setting mit Bezug zu Geschichte schreiben sich, bewusst oder unbewusst, in den Diskurs über gesellschaftlich relevante Themen und Vorstellungen über diese ein. Sie sind Kulturgut, da sie Kultur rezipieren und mitgestalten. Ein gutes Beispiel ist die aktuelle Debatte über kolonialistische Themen in Brettspielen. Durch die zunehmende Globalisierung und eine immer diverser werdende Gesellschaft regt sich auf einmal Widerstand gegen bestimmte Bilder. Z. B. wird Puerto Rico auf der Seite von Ravensburger immer noch mit folgendem Text beschrieben:
„Kurz nach seiner Entdeckung erlebt Puerto Rico seine erste große Blütezeit. Welcher Spieler besitzt die fruchtbarsten Plantagen? Wer errichtet die bedeutendsten Gebäude? Wer gewinnt die meisten Siegpunkte?“
Das ist einfach aus unfassbar vielen Gründen höchst problematisch. Schließlich existierten die Insel und ihre Bewohner:innen schon lange vor der „Entdeckung“ von Columbus und die anschließende sogenannte „erste Blütezeit“ ging mit Leid und Versklavung der indigenen Bevölkerung einher. Eine komplette thematische Überarbeitung ist nun angekündigt. Auch das zeigt, dass sich in diesem Bereich etwas tut.
Ich würde es vielleicht so formulieren: Wenn Spiele als Kulturgut wahrgenommen werden wollen, müssen sich die Autor:innen und die Spieler:innen auch der Verantwortung stellen, die damit einher geht.
Abschließend die Frage: Hast du aus Sicht eines "Boardgame Historian" vielleicht noch Tipps für Autor:innen, die ein Spiel mit Geschichtsthema entwickeln wollen?
Zunächst möchte ich sagen, dass ich den allergrößten Respekt vor Spieleautor:innen habe, die sich dazu entscheiden, ein Spiel mit einem historischen Setting zu entwickeln. Ich glaube zwei Dinge sind zentral:
Auf der einen Seite sollte man sich immer bewusst sein, dass ein Spiel vor allem zunächst einmal Spaß machen soll. Im Zweifel ist es besser, Abstriche bei der historischen Triftigkeit zu machen, wenn dafür der Spielfluss nicht gestört wird.
Auf der anderen Seite muss man sich bewusst sein, dass Geschichte für viele Leute eine große Bedeutung hat. Sobald man anfängt, konkrete historische Ereignisse oder „fremde“ Kulturen als Setting für sein Spiel zu wählen, sollte man sich zumindest grundlegend über den Gegenstand informieren, um nicht aus Versehen unangenehme Vorurteile zu reproduzieren.
Deswegen finde ich auch die Initiative der SAZ für Respekt und Verantwortung so gelungen. Mir ist es dabei wichtig, zu erwähnen, dass es uns bei dem Projekt nicht darum geht, bestimmte Themen zu verbieten. Aber wir wollen die Leute dazu anregen, dass sie anfangen, über das, was sie tun, zu reflektieren. Dabei freuen wir uns wirklich, wenn man uns bei Fragen kontaktiert!
Den Blog „Boardgame Historian“ erreicht ihr unter: www.boardgamehistorian.de
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Wer Daniel Bernsen näher kennenlernen möchte, findet ein Videointerview mit ihm auf dem YouTube-Kanal von Würfelmagier.