Tobias Tesar – Deutsches Nachwuchs-Spieleautor*innen Stipendium 2022 - Praktikumsbericht
Ravensburger
„Es ist nicht leicht, da reinzukommen“ hört man als angehender Spieleautor ja öfter. Ich wusste aber gar nicht, dass das so gemeint ist, als ich etwas ratlos den Eingang zum Ravensburger Verlag auf Google Maps suche. Die Pforte, die wie ein reiner Lieferanteneingang anmutete, war dann aber doch die richtige Stelle. Nachdem der nette Pförtner telefonisch Bescheid gegeben hat, dass „der Praktikant“ eingetroffen ist, werde ich kurz danach abgeholt.
Das gesamte Gelände ist riesig, vergleichsweise klein wirkt dagegen die Spiele-Redaktion von Ravensburger. Ich werde in einen großen Raum geführt, in dem ca 20 Schreibtische stehen.
Ich erhalte einen Stundenplan und werde in den nächsten 5 Tagen in einige Bereiche reinschauen dürfen.
Daniel Greiner hält mir einen kurzen Vortrag, wie ein Spiel entsteht. „Das meiste weißt du wahrscheinlich als Autor schon“, sagt er, „diesen Vortrag halte ich normalerweise an Hochschulen“. Daniel ist GDM – Game Development Manager, das hat Ravensburger vor Kurzem so umbenannt und trifft auch eher auf seinen Job zu als das Wort „Redakteur“, erzählt er mir.
Daniel zeigt mir anhand eines Beispiels den Werdegang eines Spiels und packt mir einen Prototyp auf den Tisch. „Da sieht man auch sehr gut, dass der Prototyp für den Verlag nicht hübsch sein muss“, sagt er. Tatsächlich wirkt der Prototyp mit seinen handgebastelten Pappelementen selbst unter Prototypen vergleichsweise lieblos gestaltet. „Diese Würfel find ich am Schärfsten, da merkt man richtig wie dem Autor mittendrin die Lust ausging“ sagt er und deutet auf die normalen W6, die mit Klebestreifen mehr schlecht als recht einige Augen abgeklebt haben, um einen Custom-Würfel daraus zu machen. „Aber das Spiel war geil, und deshalb haben wirs gemacht!“
Tatsächlich ist das eine Erkenntnis, die als Spieleautor sehr wertvoll ist. Ich durfte in der Woche bei Ravensburger sehr viele Prototypen sehen und die Herstellungsqualität war bei fast allen recht niedrig. Ich machte mir sehr oft Gedanken darüber, wie optisch und haptisch ansprechend so ein Prototyp sein muss und jetzt weiß ich mit Sicherheit: Der Verlag kann was ab. Auch die Qualität der Anleitungen sind weit entfernt von den Tipps, die man aus Autorenkreisen hört, viele haben reinen Text oder nur wenige Bilder, von Layout kann auch keine Rede sein. Ich habe jetzt keine Bedenken mehr, dass meine Prototypen nicht qualitativ hochwertig genug sind, und berichte das auch gerne anderen Autoren die ich treffe: steckt nicht zu viel Zeit ins Material, wenn es nicht spielrelevant ist.
Daniel steht mir nach seinem Vortrag und auch die restliche Woche noch Rede und Antwort. Die meisten meiner Fragen zielen sehr auf die Wirtschaftlichkeit ab. Wie realistisch ist es, Spieleautor hauptberuflich zu werden, was verdient man mit einem Spiel, wie sind die Zahlen. Wie die Verträge und die Prozente aussehen, das kann man rausfinden, aber mich interessieren die Verkaufszahlen. Die Antworten sind alle so ernüchternd wie ich das bereits erwartet habe. Um in einer Stadt wie München davon leben zu können, müsste man wohl jährlich 5 Spiele mit den durchschnittlichen Verkaufszahlen von Ravensburger veröffentlichen.
Ich habe in der Woche bei vielen Testspielen teilgenommen und durfte auch in einige andere Abteilungen reinschauen. Wie die Grafikabteilung mit den Illustratoren arbeitet, wieviel Zeit und Geld in die optische Umsetzung gesteckt wird und wie schwierig es manchmal mit Lizenzen ist, wird mir gezeigt und erklärt. Eine Tour durchs Archiv, in dem sich jedes von Ravensburger je hergestellte Produkt befindet, durfte ich auch machen.
Was mir aber auch sehr auffällt: Ravensburger ist eine große, alteingesessene Firma. Hier gibt es klare Hierarchien und Abläufe. Welche Spiele im nächsten Jahr gesucht werden, gibt eine Liste vor, die „von oben“ kommt. Redakteure (GDMs) können keine beliebigen, neuartigen, großartigen Spiele entdecken und sie umsetzen, sondern sind darauf angewiesen, Spielideen zu finden, die in das derzeit gesuchte Muster passen. Ich frage mich, wie sinnvoll diese Herangehensweise ist.
Ich bin sehr froh darüber, wie toll ich in Ravensburg aufgenommen wurde. Auch nach der Arbeitszeit habe ich noch bei einem Spieleabend mit meinen Kollegen teilnehmen dürfen und am letzten Tag stand das Einkaufen im „Remi“ an: Hier können Ravensburger Mitarbeiter Handels-Rückläufer zu kleinem Preis ergattern. Einen riesen Dank hier auch an Alessandro, der fast die ganze Woche über mein Ansprechpartner war und mir jede Frage beantwortet hat. Und beim Schleppen der Spiele aus dem Remi geholfen hat :D Die Redaktion schenkt mir auch noch das ein oder andere Spiel und so fahre ich mit einem Kofferraum voller Spiele wieder nach Hause.
Jens-Peter Schliemann
Jens-Peter ist meine zweite Station. Er hat gerade mit Zauberberg das Kinderspiel des Jahres gewonnen und ich freue mich riesig, einen so erfolgreichen Autor zu treffen und eine Woche mit ihm verbringen zu können.
Am ersten Abend verquatschen wir uns bereits bis spät in die Nacht, es macht einfach Spaß mit ihm über Spiele zu reden. Auch hier stelle ich wieder viele finanziellen Fragen. Ja, wenn man gerade Kinderspiel des Jahres gewonnen hat, sieht das Jahresgehalt mal ganz gut aus. Das ist aber eben nicht der Regelfall. Jens-Peter sagt mir, was er jedem angehenden Autor sagt: Als Spieleautor wirst du weniger verdienen als in jedem Angestelltenverhältnis. Punkt. Es ist ihm auch wichtig das so klar zu kommunizieren, denn er will, dass man hier realistisch ist. Er ist seit 30 Jahren hauptberuflich Autor und hat sich durchgekämpft, jedoch auch die Ausgaben gering halten müssen.
Die Woche bei ihm ist intensiv: Wir arbeiten an seinen Prototypen, ich zeige ihm meine Spiele, wir brainstormen, quatschen über Spielmechaniken, und- Ideen und was genau einen Spielreiz auslöst. Ich treffe ein paar seiner Co-Autoren, denn Jens-Peter arbeitet am liebsten mit anderen Autoren zusammen. Das kann ich nachvollziehen, man braucht oft einen Gegenpart mit dem man testen, Ideen austauschen und manchmal auch kritisch hinterfragen kann.
Auch die Verlagsseite besprechen wir, und wie Verträge aussehen. Wieviel Prozent man verlangen kann und soll, aber vor allem dass es wichtig ist darüber offen zu sprechen. Worauf man in Verträgen achten muss und dass von Verlagsseite oft Sachen drinstehen die man als Autor nicht akzeptieren darf. Jens-Peter hilft mir auch, für eines meiner Spiele in Kontakt zu einem großen amerikanischen Verlag zu treten.
Am letzten Tag fahren wir nach Köln und ich helfe Jens-Peter beim Aufbauen seines Kurses im Cologne Game Lab: ein Institut der Hochschule Köln vor allem für digitale Spiele. Jens-Peters Kurs soll die Studenten mal vom Computer wegholen und sie zum Denken anregen, was denn eigentlich ein Spiel spaßig macht, woraus man alles ein Spiel machen kann und dass Videospiele im Grunde den gleichen Spaß-Regeln folgen wie alle anderen Spiele auch.
In der Hochschule passiert gerade etwas, was ich als ein großes Rollen-Escape-Spiel bezeichnen würde: Eine Menge in Roben gehüllte und geschminkte Studenten führen eine Art Ritual in einem Zimmer durch. Man merkt: Hier wird sich mit allen Arten von Spielen auseinandergesetzt.
Als ich nach Hause fahre ist mein Kopf voller Eindrücke und Ideen, die die Gespräche mit Jens-Peter ausgelöst haben. Ihm geht es genauso. Die Woche war so schön wie auch mental anstrengend, wir beide sind froh eine Auszeit zu haben. Wir sind seit meiner Woche bei ihm regelmäßig in Kontakt, was mich sehr freut.
Die Spieleburg
Im Juni 2023 bin ich natürlich wieder beim Spieleautorentreffen in Göttingen. Als Gewinner des Stipendiums darf ich dieses Jahr Teil der Jury sein. Und damit meinen Nachfolger bzw meine Nachfolgerin mitentscheiden.
Direkt im Anschluss daran habe ich mein Praktikum in der Spieleburg geplant. Das ist ein kleiner aber ikonischer Spielwarenladen in Göttingen. Hier sehe ich mal die Einzelhandels-Seite der Spieleindustrie.
Bei der ersten Führung von Geschäftsführer Arne sagt er mir gleich, dass sie zwar alle für den Verkauf von Brettspielen brennen, davon allein kann aber kein Laden überleben. Deshalb gibt es hier noch allerlei andere Spielwaren, Mangas, Gadgets und Kleinkram, was die Zielgruppe ansprechen könnte.
In meiner Woche bei der Spieleburg wurde ich gleich in das Geschäft miteingegliedert. Ich habe Inventur gemacht, oft kassiert und manchmal Kunden beraten. Der meiste Umsatz wurde (gefühlt) mit Pokemon-Karten erzielt. 80% der Kinder kamen in den Laden, um von ihrem Taschengeld ein Booster-Pack zu kaufen.
Die Beratung von Kunden, die ein Spiel suchen, hat sich auch als schwerer herausgestellt, als ich mir das vorgestellt habe. Was schenkt man dem 7-jährigen Neffen, der bisher ein bis zwei Kinderspiele gespielt hat? Was bekommt der Schwager, der eigentlich gar nicht spielen will? Gerade bei den Eltern, die ein Familienspiel suchen, kommt man zwangsläufig dazu, ein Spiel des Jahres zu empfehlen. Diesem Prädikat vertrauen die Kunden und meist können sie einem als Verkäufer auch zu wenig Informationen liefern, um wirklich gezielte Kaufberatungen zu geben. Da ist ein Spiel des Jahres einfach eine sichere Bank, damit „macht man nichts falsch“.
Spiele sind sehr subjektiv, was dem einen gefällt, muss jemand anderem nicht gefallen und man muss einiges ausprobieren, um herauszufinden, was man mag. Ein Wissen, was auch bei Testspielen beachtet werden sollte: Spielgeschmack ist subjektiv.
In der Spieleburg gibt es immer wieder Events nach Ladenschluss: Magic-Turniere, offene Spieleabende usw. Hier merkt man, dass die Mitarbeiter mit Leidenschaft für Spiele dabei sind, denn sie bleiben unbezahlt länger da um den Göttingern eine Möglichkeit zu bieten, neue Spiele auszurobieren. Da es hier zu sehr vielen Spielen offene Ansichtsexemplare gibt, hat man eine reiche Auswahl an Spielen, die man kostenlos spielen kann. Dieser Spieleabend war eindeutig die schönste Erfahrung, die ich in meiner Woche in der Spieleburg machen durfte.
Ich löchere Arne über die Entscheidungen als Ladenbesitzer, welche Spiele man ins Sortiment nimmt. Meist sind die Gewinnmargen ein Anreiz, wenn man ein neues, unbekanntes Produkt aufnimmt. Sollte man im Eigenverlag ein Spiel veröffentlichen, ist der persönliche Kontakt (zB in Nürnberg) gepaart mit einer attraktiven Gewinnmarge die beste Chance, sein Spiel in die Verkaufsregale zu bekommen.
Zum Abschluss darf ich mir als Lohn für meine Arbeit ein beliebiges Spiel aussuchen. Die Woche verging rückblickend sehr schnell. Ich beschließe, hier auf jeden Fall nochmal vorbeizuschauen, wenn ich wieder in Göttingen bin. Diesen Laden möchte ich unterstützen, damit er weiter Menschen zum Spielen begeistern kann. Ein Dank geht an alle Mitarbeiter, die mir Fragen beantwortet, mir Sachen erklärt und geholfen haben.
Hans im Glück
Meine letzte Station ist der Verlag Hans im Glück. Dieses Praktikum absolviere ich erst fast 2 Jahre nach meinem Stipendiumsgewinn. Was den praktischen Vorteil hat, dass ich diesmal nicht alleine als Praktikant da bin, sondern es direkt zusammen mit meiner Nachfolgerin Mareike absolvieren kann.
Was sofort auffällt: Hans im Glück ist ein recht kleiner Verlag. In den Büroräumen zähle ich keine 20 Mitarbeiter, alle sehr jung, oft fühle ich mich mit 32 als der älteste im Raum. Bei so einem kleinen Team fällt auf jeden Mitarbeiter mehr Verantwortung aber auch Entscheidungsfreiheit, was hier wie ein Teil des Erfolgsrezeptes wirkt: Es stehen einige Auszeichnungen im Regal.
Redakteur Johannes Natterer kümmert sich den Großteil der Woche um uns. Er nimmt sich viel Zeit, uns alle Fragen zu beantworten und uns die Abläufe einer Spielentwicklung bei Hans im Glück zu demonstrieren. Wir sichten erste eMail-Pitches, die wir auf ihr Potential einschätzen sollen. Wenn ein Spiel hier Interesse erweckt, wird meist sofort ein Prototyp angefragt und dann getestet. Auch das dürfen wir in unserer Woche miterleben. Wir packen neu angekommene Prototypen aus, lernen die Regeln und testen es mit dem Team. Anschließend die Frage: Ist das unterhaltsam genug, hat es genug Spielreiz? Die Spiele, die wir getestet haben, hatten das leider nicht. Bei allen getesteten Spielen waren wir uns einig: es bietet nicht genug, um es weiter zu verfolgen.
Bis hierhin ist alles recht „normal“ was den Ablauf angeht, viele Angebote kommen rein, wenige Prototypen werden angefragt, noch viel weniger werden weiter verfolgt und kommen unter Vertrag.
Wo sich Hans im Glück aber zu manch einem Verlag unterscheidet, ist der Entwicklungsaufwand, den das ganze Team bereit ist, in ein Spiel zu stecken. Johannes erzählt uns, an manchen Spielen arbeiten sie mehrere Jahre, bis es letztendlich gut genug und „fertig“ ist. Eigentlich kein Spiel kommt so heraus, wie der Prototyp war, überall gibt es noch was zu verbessern, zu balancen, zu optimieren.
Johannes holt ein kooperatives Spiel heraus, das bereits viel solcher Entwicklung hinter sich hat, und lässt es uns testen. Danach erfahren wir, an welcher Stellschraube an den Regeln hier gerade gedreht wurde und was die Besonderheiten in der Entwicklung bei diesem Spiel sind.
Dass jedes Spiel ganz neue Ansprüche an ihn stellt und neue, kreative Lösungen erfordert, sei einer der schönsten Aspekte seines Berufes, erzählt uns Johannes. Er zeigt uns, wie sie beispielsweise mithilfe von Excel-Skripts ein Spiel mathematisch ausrechnen lassen, um es perfekt balancieren zu können. Das muss man sich bei jedem Spiel neu erarbeiten, da es hier keine vorgefertigten Lösungen gibt, schließlich hat jedes Spiel ja andere Regeln. Automatisierte Batch-Verarbeitung in Grafikprogrammen wie InDesign sind nötig, um schnelle Iterationen bei den Prototypen herstellen zu können.
Neben der Redaktionsarbeit schauen wir auch einen Tag in den Online-Shop von Hans im Glück herein, „C und Co“. Das C steht hier natürlich für das Spiel Carcassonne, der Titel der offensichtlich den ganzen Verlag seit Jahrzehnten finanziell trägt. Wir erfahren hier von den Details im Direktverkauf, Versand und auch in der Herstellung von den gefühlt Hunderten Erweiterungen, die für das Spiel mittlerweile erschienen sind.
Am letzten Abend ist Spieleabend angesagt, bei dem wir zusammen zu Abend essen und bis spät in die Nacht Spiele spielen. Prototypen seien hier verboten, wurde erst noch gesagt. Da wollen sie mal die Spiele der Konkurrenz spielen. Am Ende entdecke ich aber doch einen Spieltisch, an dem die neueste Regeländerung des aktuellen Hans im Glück Titels getestet wird.
Hans im Glück wirkt wie eine kleine Familie, ein sehr eingespieltes Team, in dem jeder seine Aufgabe kennt und die Zahnräder gut ineinandergreifen. Ich bin gespannt, wenn das Spiel, das wir getestet haben, letztendlich erscheint. Ich bin mir sicher, bis dahin hat sich wieder einiges geändert.
Mein Dank geht raus an das gesamte Team, das uns in dieser Woche so bereitwillig in ihrer kleinen Familie aufgenommen hat. Besonderen Dank an Johannes, Elmar, Andreas und Ron, die uns Rede und Antwort standen.